Von hinten durch die Brust ins Auge
Mein etwas anderer Jahresrückblick
Teil 2
Ich find ja schreiben eine tolle Sache! Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, nicht schreiben zu können. Und das auch noch handschriftlich tun zu können, ist echt das Größte!
Ich habe mein erstes Tagebuch bekommen, da war ich…mmmh, also das war so sechste Klasse oder so. Da Tagebuchschreiben heute etwas muffiges hat, „journalt“ man heute. Dabei ist es nichts anderes. Und schon zu allen Zeiten hat man sein Tagebuch aufgerüscht mit Lackbildern (kennt die noch jemand?) Zeitungsartikeln, Zeichnungen, Haarsträhnen, Lippenstiftküssen oder bunten und manchmal sogar duftenden Stiften (ich bin ein Kind der achtziger, da gab es Tintenroller in allen Farben und sie dufteten nach Orange, Kirsche oder Patchouli…). Will sagen: Ist nicht neu, hat nur einen anderen Namen.
Meine Omi Hildgard Mariechen hat schon geschrieben und ihre Zeilen mit grafischen Motiven verziert. Ich sehe sie noch in ihrer Küche sitzen. Ihr Notizbuch war ein Kalender in ungewöhnlichem Format. Quasi DIN A4 und längs in der Mitte schmal gefaltet. In diesen Kalender hat sie mit einem besonderen Stift die Geschehnisse des Tages ganz kurz notiert, aber man kann auch Informationen darüber finden, welche Torten und wieviel Braten es bei der Hochzeit meiner Cousine gab. Alles in Stichworten. Denn der Kalender bot eben nur diese eine längshalbierte Seite pro Tag. Und ich glaube, zu mehr hätte sie auch keine Zeit gehabt.
Ob nun ausführliches Tagebuch oder Stichworte in einem Kalender, ich habe dieses Aufschreiben über das Jahr 2022 als unheimlich wohltuend empfunden. Dabei habe ich mich echt lange dagegen gewehrt. Ich hörte nämlich mit meinem Tagebuch aus Kindheitstagen auf als ich eine -unbegründete- Angst entwickelte, jemand könnte darin lesen. Später dann hatte ich immer das Gefühl, keine Zeit dafür zu haben und dann, noch später, redete ich mir ein, ich sei zu erschöpft dazu.
Rückblickend ins Jahr 2022 habe ich aber meine Meinung dazu revidiert.
Das Jahr war echt hart für mich. Mit gesundheitlichen und familiären Schwierigkeiten, die mich so sehr forderten, dass ich auf der Burnout-Skala wieder auf vier Stand.
Es gibt nicht mehr viele Menschen um mich herum, mit denen ich darüber reden könnte. Viele sind bereits verstorben. Meine Freundinnenverlust-Liste durch Tod startete bereits als ich 12 Jahre alt war und hat bis heute leider kein Ende gefunden. Und manche Freundschaft entpuppte sich dieses Jahr als einseitig und oberflächlich. Tja- und dann hab ich wieder angefangen. Wie meine Omi mit einem Kalender. Mit so einem Kalender darf und MUSS ich mich kurz halten-es ist nicht genug Platz für Ausführlichkeit. Und so hab ich, wie meine Omi, mir einen Stift gekauft, den ich gut halten kann, der weich schreibt und meinen Kalender mit Spiralbindung und hab einfach nur kurz notiert, welche Termine standen denn an und wie ist es gelaufen? Woran will ich für morgen denken und was war heute nur semi-schön und am Schluß hab ich IMMER eine Sache aufgeschrieben die gut gelaufen ist oder für die ich dankbar war an diesem Tag-und wenn es eine heiße Dusche am Abend gewesen ist.
Ich stellte fest, dass ich erstmal nicht weniger erschöpft war, aber es tat gut, Gedanken und Emotionen aus dem Kopf zu kriegen und zumindest DIESES Karussell zu verkleinern und zu beenden.
Seit September 2022 habe ich beides geführt. Meinen Kalender UND mein Tagebuch, mein „Journal“. Wenn ich im nix-geht-mehr-Modus stehe, dann der Kalender und wenn mir nach mehr ist, das Tagebuch.
Sicher, ich weiß, Autoren vieler Bücher und Blogs plädieren für tägliches Schreiben. Die bekannteste Stimme dazu gehört wohl Julia Cameron. Aber ganz ernsthaft: Wenn ich mit all meinen Verpflichtungen und Herausforderungen schon mit dem Rücken an der Wand stehe, dann steh ich nicht noch ne Stunde eher auf, um mir eine Stoppuhr zu stellen und mindestens drei DIN A4 Seiten voll zu schreiben mit „ich weiß gar nicht was ich schreiben soll“. Dann bin ich einfach zu fertig und MIR fehlt dann auch oft Schlaf und den gebe ich sicher nicht noch für ein Schreiben, gleich welcher Art, her.
Und auch wenn ich selbst sogar den Google Calendar mit meinem Smartphone Kalender synchronisiert habe und diese bunten Balken mir helfen zu sehen WAS ich eigentlich alles rocke: Wenn man einmal alle Daten und Termine durch einen Technik-Crash verloren hat, fängt man wieder an, Papier zu lieben. Und warum dann nicht mit dem heilsamen notieren verbinden?
Selbstverständlich find ich kreativ gestaltete Journals super schön und ich möchte selbst solche Bücher für Euch und für mich gestalten. Der Punkt bleibt aber: Wenn man schon an dem Punkt ist, an dem man nicht mehr kann, dann tut es erstmal ein Kalender mit einer Seite pro Tag und wer mag, kann ja darin seinen Tag mit ein paar Kritzeleien verzieren-hat meine Omi auch so gemacht!
Fazit für den zweiten Tag des Rückblickes, der eigentlich gestern hätte erscheinen sollen…(hätte, würde, sollte, könnte…würde Sheldon Cooper nun sagen):
Ich habe 2022 schreibend loslassen geübt, weil ich kurze Notizen in meinen Kalender getätigt habe.
Das ist unterschätzt und ich rate Dir auch dazu, es einfach mal zu versuchen. Und ja: Mit der Hand! Stift auf Papier. Ich bin wahrlich schnell an der Tastatur, aber handschriftlich ist anders und hilfreicher.
Erzähl mir gern in den Kommentaren von Deinen Erfahrungen mit dem Thema „Journaln“, also Tagebuch schreiben.
Allein „Tagebuch schreiben“ hört sich schon total aufwendig an, oder? Erschlägt einen ja fast!
Also fang kleiner an. Mit einem Kalender. Ich hab mir meinen für 2023 schon gekauft.
Good Vibrations
SAM